pict200409_1541400000.jpg

Surviving Corona

 Ich hatte ja keine Ahnung.

Ihr habt ja keine Ahnung.

Dies ist ein Statusbericht aus der Quarantäne einer Deutschen in Málaga, Spanien an Tag 24. Es ist Dienstag, es könnte aber auch jeder andere Tag sein. Am Sonntag war Halbzeit nach aktuellem Nachrichtenstand. Bisher dachte ich es mit Humor nehmen zu können, auch wenn ich schon den einen oder anderen schlechten Tag hinter mir hatte. Aber das war ja zu erwarten. Was nicht zu erwarten war: das konstant schlechte Wetter, welches vermutlich genauso aufs Gemüt schlägt wie die Verbote raus zu gehen.

Anfangs war es noch ein Highlight, dass man zum Supermarkt gehen konnte. Man kam wenigstens raus und konnte den freien Himmel über einem geniessen. Jetzt mache ich nicht mal das noch gerne. Man fühlt sich wie eine Kriminelle. Da kann ich mir noch so lang einreden, dass die Polizei es ja nur gut gemeint hat, als sie mit ihrem Auto anhielten, um mir zu sagen ich darf nicht an den Blumen am Baum riechen, sondern solle doch weiter gehen zum Supermarkt und direkt danach nach Hause. Irgendwie verständlich. Jetzt bleibe ich lieber Zuhause, als in den teils abgesperrten Supermarkt zu gehen, mir Plastikhandschuhe anzuziehen und an der Kasse auf Desinfektionsmittel rumzurutschen.

Alternativ bleibt ja noch, dass ich den Müll raus bringen darf. Oder vom Balkon die Menschen beobachten kann, die ihre Hunde kurz zur Pinkelwiese bringen. Oder um 20 Uhr zu klatschen… für was genau habe ich irgendwie schon vergessen. Weil mir das persönlich alles so entfernt und absurd erscheint. Mir geht es doch gut… außer dass ich eingesperrt bin. In meinem schönen, großen Zuhause.

Ich versuche so viel wie möglich andere Sachen zu machen, die nicht mit einem Bildschirm statt finden können. Aber auch da gehen mir langsam die Optionen, und vor allem die Motivation aus. Ich will nichts mehr als Spazieren gehen. Am Strand sitzen, den ich vom Balkon aus sehen kann. Wandern in den Bergen. Für Arbeitstermine nach Deutschland fliegen. Freunde sehen. SEHEN. in 3D. nicht auf dem Bildschirm, meist verpixelt und aus komischen Winkeln.

Am Anfang habe ich es vermisst, dass mir jemand einen Cappuccino macht. Jetzt vermisse ich das, was ich als mein Leben bezeichnet habe. Ich schlafe, koche, esse, mache Sport, manchmal zieht man sich an als würde man normal raus gehen, normalerweise aber nicht. Da heisst es Jogger oder gleich die Sportsachen anlassen. Putzen steht auch hoch im Kurs. Gegärtnert wurde auch schon was so in einer ca. 100m2 Wohnung mit vielen Pflanzen geht.

Eins steht fest: der erste Mensch, der mir etwas bedeutet, den ich wiedersehe nach dieser Zeit wird eine ganz große Umarmung kriegen und vermutlich meine Freudentränen und die Erleichterung von mir abfallen fühlen, dass das Leben wieder “normal” ist. Was auch immer das dann heisst…

Wenn ich bedenke, dass ich als Deutsche und mit meinem Lebensstil (Selbständig, von Zuhause Arbeitender Expat) ja schon ganz gut auf diese Situation vorbereitet war graut mir die Vorstellung wie es den Spaniern und Italienern gehen muss, die extrem sozial sind, und es eigentlich immer gewohnt sind in großen Gruppen mit Freunden und Familien ihren Alltag zu verbringen. Da bin ich als Deutsche ja zumindest gewohnt, dass wir im Winter einfach viel Zuhause sind, und die eine oder andere Verabredung abgesagt wird, weil es zu kalt draussen ist und man eigentlich müde ist von der Dunkelheit und doch einfach Zuhause vorm Fernseher oder mit einem Buch versackt. Aber das hat man sich ja dann ausgesucht.

Auch ein neues Phänomen ist beim Nachrichtenschauen extrem emotional zu werden. Es trifft mich, dass die ganze Welt gerade leidet. Wenn auch zu unterschiedlichen Ausmaßen, aber wir leiden. Alle. Und ich kenne noch nicht mal jemanden der jemanden kennt, der an Corona verstorben ist. Aber mir kommen jedes Mal die Tränen wenn ich die Nachrichten schaue, sodass ich es inzwischen lasse. Es sei denn ich muss mal alles raus lassen. Wo früher Drama Filme hergehalten haben reichen jetzt 2 Minuten Tagesschau.

Gleichzeitig verrückt, dass ich so guten Zugang habe zu den Medien, weltweit. Als meine Eltern vor 25 Jahren im Ausland gelebt haben war das alles anders. Die hätten nicht einfach mal kurz Facetimen können, oder mit ihren Freunden eine Houseparty machen können, und sich alleine, zusammen betrinken.

Wenn mir noch einmal einer sagt, ich solle meinen Tag durchstrukturieren, und mir ein Morgenritual zulegen springe ich vom Balkon. Ja, zugegeben, das sind beides gute Tips. Aber nach 24 Tagen kann glaube ich nur noch die Entlassung in die Freiheit helfen. Ich werde definitiv jegliche kriminelle Gedanken aus meinem Ideenschatz verbannen. Denn ein wirkliches Gefängnis würde ich garantiert nicht überleben.

Ich habe einen Mitbewohner. Am Anfang war ich sehr froh darüber. Aber er ist erst einen Monat vor Lockdown eingezogen. Wobei es vermutlich nicht relevant ist, wann er eingezogen ist. Ich habe mich unter anderem für ihn entschieden, weil er eigentlich einen Vollzeit Job hat und dann immer im Büro wäre wenn ich von Zuhause arbeite (und sich die Miete leisten kann – beides recht seltene Fälle in Südspanien). Er sitzt jetzt immer im Wohnzimmer und arbeitet dort. Und ich sitze zwei Zimmer weiter im Home Office. Oder im Bett. Oder in der Küche. Oder auf dem Balkon. Oder im Flur. Das Bad habe ich wohl als Arbeitsplatz noch als Option… wie konnte ich das übersehen haben?! Wie auch immer… der arme Mitbewohner. Es nervt mich einfach dass er immer da ist. Wo soll er denn auch hin?! Aber er ist immer da. Und ich bin immer da. Ich bin es nicht gewohnt, ich wollte das so nicht, aber es ist so. Er scheint sein Zimmer auch lediglich als Schlafplatz anzusehen. Das kommt dann wohl beim nächsten Mitbewohner Casting auf die Liste der Fragen: Verbringst Du gerne Zeit in Deinem Schlafzimmer, alleine? Wir Menschen sind schon seltsam.

Es tut mir schon fast leid, dass ich so fühle, weil er ja überhaupt nichts dafür kann. Es könnte auch vermutlich jeder sein, der mich momentan nerven würde durch seine Existenz. Ich hätte natürlich lieber einen meiner Freunde oder ein mir vertrauter Mensch hier. Aber so ist es halt. Wie so vieles im Leben, eins der Dinge die ich nicht kontrollieren kann, und mich entsprechend anpassen muss. Ich kann ja noch mehr Yoga machen. Und noch mehr meditieren. Und noch mehr schlafen. Nein, noch mehr schlafen kann ich wirklich nicht.

Bevor ihr es sagt: nein, nach Deutschland kann ich gerade auch nicht mehr. Es gehen keine Flüge, ein Auto habe ich hier nicht und kann ich auch nicht mieten, da alles geschlossen hat. Und mit dem Fahrrad lassen sie mich garantiert nicht los. Und in Deutschland bin ich dann ja auch nicht in meinem Zuhause. Und das ist mir viel wert. Also bin ich dankbar. Für mein Zuhause, in dass ich sehr viel Zeit gesteckt habe um es solches zu nennen. Ich bin dankbar für jeden, der mich anruft oder mir schreibt, oder mir eine Sprachnachricht schickt. Und dankbar dass man versteht, dass ich manchmal auch einfach nicht reden möchte. Ich bin dankbar, dass ich gesund bin und kochen kann und Sport mache, um meinen Kopf frei zu kriegen.

Eine der größten Herausforderungen für mich persönlich (und das war schon immer ein Problem, das andere nicht so ganz verstehen konnten): die Monotonie. Es gibt einfach kaum Abwechslung. Das ist aber genau das, was meinem Leben Bedeutung gibt. Abwechslung. Abwechslung in Tätigkeiten, in Menschen, in Gesprächen. Ich habe ja nichts gegen Wiederholungen, vor allem von aktiven Tätigkeiten, Dingen die mich inspirieren, meinen geliebten Menschen und sich wiederholende Gespräche. Aber irgendwie ist gerade alles anders. Auch wenn ja eigentlich nicht viel anders ist.

Eine sofortige Auflösung der Quarantäne wird es eh nicht geben. Darüber bin ich auch sehr froh, da ich mit der völligen Freiheit glaube ich erstmal überfordert wäre! Eine langsame Resozialisierung wird gut sein. Und hoffentlich bei allen Menschen zu einem Umdenken führen. Ich habe die Befürchtung dass alle, wie nach einem Urlaub in dem große Veränderungen angedacht waren, zurück in den Alltag und die gleichen, teils schlechten Angewohnheiten zurück fallen.

Also ist eigentlich alles wie immer. Es bleibt spannend und man weiß eh nicht was morgen passiert…

Naja. schon…

Die Fotografie Welt hat sich zu Selbstporträts gewandt… da mach ich ausnahmsweise mal mit.